Taste of Cement
Der Bürgerkrieg in Syrien lässt Menschen in die Nachbarländer fliehen. Ziad Kalthoum zeigt auf ästhetisch raffinierte Weise in „Taste of Cement“ den Arbeitsalltag der „workers in exile“, die sich im Libanon als Bauarbeiter* auf Großbaustellen verdingen – und inmitten des Zements an die traumatischen Erfahrungen ihrer zerbombten Heimatstädte erinnert werden.
„Dedicated to all workers in exile“, heißt es im Abspann des Films des syrischen Filmemachers Ziad Kalthoum, der ihn gleichzeitig sich selbst widmet: Vom Militärdienst, zu dem er 2010 vom Asad-Regime eingezogen wurde, desertiert er und lebt acht Monate lang versteckt in Damaskus, ehe er Anfang 2013 ins Nachbarland Libanon flieht. Seine beiden bisherigen Dokumentarfilme sind geprägt von dieser Fluchterfahrung: Während The Immortal Sergeant aus heimlich während seines Militärdiensts gefilmten Videomaterial besteht, filmt er in seinem zweiten Werk Taste of Cement die Arbeitsbedingungen syrischer Bauarbeiter* im Libanon.
Während ihre Heimatstädte durch den Bürgerkrieg zerstört werden, lassen syrische Bauarbeiter* zeitgleich in Libanons Hauptstadt Beirut ein Hochhaus entstehen. Die Baustelle dürfen sie aufgrund einer Ausgangssperre für syrische Geflüchtete auch nachts nicht verlassen und so wohnen, kochen und schlafen sie im Keller des Gebäudes.
Der Krieg in Syrien, den sie über die Medien verfolgen, lässt sie – gerade an dieser Umgebung – nicht los.
Eine Drehgenehmigung erhielt Kalthoum erst, als er dem Bauleiter seine Bewunderung für den Bau vorschwindelte und vorgab, dessen Entstehung dokumentieren zu wollen. Interviews mit den Bauarbeitern* waren jedoch strikt verboten, genauso wie das Filmen ihrer eigenen Behausungen im Keller. Als aufflog, dass das Filmteam sich diesen Regeln widersetzte, wurde es von der Baustelle verwiesen und mit Drohungen konfrontiert. Der Regisseur floh daraufhin weiter nach Berlin, wo er politisches Asyl bekam. Dieser Hintergrund erklärt möglicherweise Kalthoums Bestreben, das auferlegte Schweigen – über weite Strecken im Film „tonangebend“ – mit Hilfe ästhetischer Mittel zu übersetzen: Seien es Froschperspektiven, die den Stellenwert der Arbeitenden visualisieren, kontrastierende Kameraeinstellungen, die den Gegensatz zwischen gelebter Realität und imaginären Sehnsuchtsräumen offenbaren, oder aber extreme Nahaufnahmen, in der Iris des Auges gespiegelte Bilder, die das „Kopfkino“ der Arbeiter* laut werden lassen. Gerade durch diese brillante ästhetische Gestaltung der beklemmenden, teils schockierenden Filmaufnahmen wurde Taste of Cement bei der Filmkritik enthusiastisch gefeiert.
Ziad Kalthoum
Ziad Kalthoum wurde 1981 in Homs, Syrien, geboren. Er studierte Film und arbeitete anschließend als Regieassistent für mehrere Filme, Serien und Fernsehprogramme. 2011 erschien sein erster Kurz-Dokumentarfilm Aydil (Oh, my Heart) über eine Gruppe kurdischer Frauen*, die es vorziehen, in einer Gesellschaft ohne Männer* zu leben. Sein erster Lang-Dokumentarfilm Al-Rakib Al-Khaled (The Immortal Sergeant, 2012), der 2015 auf dem BBC Arabic Festival in London prämiert wurde, gibt einen autobiographischen Einblick in seinen Alltag während des auferlegten Militärdiensts, den er vormittags in der Kaserne absolvierte, während er nachmittags als Regieassistent am Theater arbeitete. Er desertierte aus dem Militärdienst und flüchtete in den Libanon, wo er Taste of Cement drehte und anschließend weiter nach Deutschland floh. Taste of Cement wurde bei seiner Uraufführung in der Schweiz auf dem Festival Visions du Réel als Bester Langfilm ausgezeichnet – nur einer von vielen weiteren Preisen.
Credits
REGIE: Ziad Kalthoum.
PRODUKTION: Mohammad Ali Atassi (Bidayyat, Audiovisual Arts), Ansgar Frerich (BASIS Berlin Filmproduktion), Tobias Siebert (BASIS Berlin Filmproduktion), Eva Kemme (BASIS Berlin Filmproduktion).
KOPRODUKTION: Dubai Film Market Enjaaz Film Fund, Doha Film Institute.
KAMERA: Talal Khoury.
SCHNITT: Alex Bakri, Frank Brummundt.