Chaos

Drei Städte, drei Frauen*, verbunden durch die traumatische Erfahrung des Kriegs in Syrien. Während die Eine im zerbombten Damaskus feststeckt und um ihren Sohn trauert, lassen eine andere  auch in der nordischen Ferne die quälenden Erinnerungen nicht los. Daneben versucht eine eben erst in Wien angekommene Syrerin Fuß in ihrer neuen Heimat zu fassen. Momente des Chaos, für jede von ihnen. 

Chaos von Sara Fattahi zeigt drei Syrerinnen in drei verschiedenen Städten, verbunden durch die gemeinsame Erfahrung des Krieges. Eine Mutter in Damaskus, ihres Sohnes beraubt, erstickt ihren Schmerz in stummer Resignation und findet Halt, indem sie tagtäglich das leere Kinderzimmer aufsucht. Dem gegenüber bringt eine von einer bipolaren Störung betroffene Frau* in Schweden ihre Träume in Collagen und Zeichnungen zu Papier. Während diese beiden von vorne, mit zum Teil auffälligen Nahaufnahmen ihrer Gesichter gezeigt werden, streift in Wien, Wahlheimat der Regisseurin, wiederum eine andere Frau* durch die Straßen der Stadt – die Kamera auf ihren Hinterkopf gerichtet, sehen wir sie meist nur von hinten. Genauso anonym: ihre Wohnung, unmöbliert, leer, bis auf ein paar wenige Habseligkeiten. Im Unterschied zu den beiden anderen Frauen* erfahren die Zuschauer*innen nichts von ihrem Schicksal. Sind das Gesicht und die Augen Fenster zur Seele, dann bleiben diese verschlossen.

Wut, Trauer, Verlust, Verzweiflung, Verlorenheit, psychische Erkrankungen, suizidale Gedanken – Sara Fattahis Film spricht keine leichten Themen an. In ihren Filmen stellt sie sich der  Herausforderung, eben dieses Unfilmbare – das komplexe Innenleben der Figuren –  sehbar zu machen (cf. Fattahi in Hering 2018). „I don’t have the courage to commit suicide. But I do have the courage to carry it through another way, which is through oversleeping. I’m absent all the time,“ vertraut ihr eine Protagonistin an. Und um diese Verschwommen- und Benommenheit, dieses innere „Chaos“ auszudrücken, wartet die Filmemacherin unter anderem mit dem leitmotivisch wiederholten Symbol der Fensterscheibe auf, durch die die Frauen* von Innen ins graue Äußere sehen, den Eindruck der Trennung unterstreichend, räumlich wie mental.

Statement von Sara Fattahi

“The film begins from the particular and moves to the general, from the personal to questions of universal humanity. It resembles a biography that has been fragmented, its narrative following my memory rather than an attempt at reconstruction. It is an attempt to translate the truth of human terror faced with the thought of death, and the final opportunity to debate with catastrophe. It is a work of research into the specificities of isolation and the deep loneliness in the midst of a world receding slowly to oblivion, across the repeated shocks that the three characters face, and the attempt to bridge that other abyss of consciousness through an in-depth study of the particularities of the human interior.”

Sara Fattahi

*1983 in Damaskus, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Damaskus und Abschluss am Fine Arts Institute in Damaskus. Storyboard artist und Animatorin bei verschiedenen TV-Sendern wie Al Jazeera Kids und SpaceToon, zwischen 2003 und 2008 Art director von Soap operas. Seit 2010 unabhängige Filmemacherin und Filmproduzentin. Filme: 27 Meters (2013), Coma (2015; Regard Neuf-Award bei Visions du Réel; FIPRESCI-Award bei der Viennale; Präsenz bei unterschiedlichen Festivals, u.a. MoMA’s Doc fortnight 2016, Berlinale’s Critics’ Week 2016, São Paulo 2016)

Quellen

Hering, Lili: „Filmemacherin Sara Fattahi: ‚Die Entfremdung trage ich immer in mir‘“. In: Der Standard, 25.10.2018, https://www.derstandard.at/story/2000089700675/filmemacherin-sara-fattahidie-entfremdung-trage-ich-immer-in-mir [06.09.2020].

Credits

Produced by PAOLO CALAMITA
Edited by RAYA YAMISHA
Cinematography by SARA FATTAHI
Camera LUKAS SCHALLER
Underwater Camera TALAL KHOURY
Steadicam Operator THOMAS MAIER
Sound BRUNO PISEK
Sound Editing RAYA YAMISHA
Sound Mixing ALEXANDER KOLLER
Sound Design LENJA GATHMANN
Colorist SHIRINE SINNO
Production Manager PAOLO CALAMITA
Translations and Subtitles STEFAN TARNOWSKI
Actress JASCHKA LÄMMERT
With RAJA, HEBA
A LITTLE MAGNET FILMS PRODUCTION
with the Support of: The Austrian Federal Chancellery, The Arab Fund for Arts and Culture, Doha Film Institute, Bidayyat for Audiovisual Arts, City of Vienna