Home

Mit Verweis auf Gewohnheit und Tradition wird trotz anderslautender Gesetzeslage das Erbrecht für Frauen* im Kosovo de facto außer Kraft gesetzt. Denn das ihnen zustehende Erbe wird unter den männlichen Verwandten aufgeteilt, während von ihnen erwartet wird sich mit einem Auskommen als Ehefrau zufriedenzugeben. Doch Hava, Hauptfigur in More Raças Kurzfilm „Home“, widersetzt sich in mehrfacher Hinsicht der herrschenden Norm.

In ihrem Kurzfilm Home prangert More Raça die Ungleichbehandlung an, mit der Frauen* in Nachkriegs-Kosovo trotz formaler Gleichstellung weiterhin zu kämpfen haben. Nach dem Tod der Eltern hat Hava weder Anspruch auf das finanzielle Erbe noch auf das Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Sie ist in ihren Dreißigern und macht keine Anstalten, sich einen Ehemann zu suchen. In dieser Situation wird von ihrem Bruder Qazim erwartet, dass er einen Ehemann für sie findet, damit sie „versorgt“ wird. „Put on some lipstick!“, weist er sie an, als er sie zu einem arrangierten Treffen mit einem heiratswilligen Bekannten führt. Doch Hava widersetzt sich den Plänen ihres Bruders und droht, ohnehin schon von Armut betroffen, obdachlos zu werden.

„The problem of inheritance is very concerning. In 2016, only 4% of women have inherited property from their parents – this small percentage indicated that this is a huge issue. This is due to women being deprived of the right to inherit property, it has subsequently pushed me to deal with the topic in my film, since these statistics are worrying and show that women in Kosovo are not treated the same, although legally they are now on a similar footing, there is a lack of implementation.“ (Raça in Hepworth 2017)

More Raça, selbst in Kosovo geboren, thematisiert die fortwährende Macht patriarchaler Strukturen in einer Gesellschaft im Wandel und zeigt auf, wie das Ineinandergreifen von struktureller, symbolischer und interpersoneller Gewalt gegen Frauen deren Handlungsoptionen einschränkt. Home inszeniert exemplarisch das Ringen um Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung innerhalb patriarchaler Verhältnisse. Die Suche nach einem gleichberechtigten Platz, nach einem „Zuhause“, stellt die Protagonistin vor schwere Entscheidungen. Die selbstbewusste, sichere Kameraführung ist dabei Spiegelbild der Gefühlswelt der Hauptfigur.

Statement

“I was six when the war in Kosovo happened and we were forced to leave our homes. During my stay as a refugee in Macedonia, I witnessed something magical. Someone came to screen, for us, Charlie Chaplin movies and cartoons. I used to watch them since I was always into movies, and for me that was an escape from the bitter reality we were experiencing. It gave me a feeling that everything would be ok, that I was safe and would soon return home. Film has this power on people. It gives you power when you’re hopeless; it is magic.” (Raça in Prestridge 2019)

More Raça

*1992 Kosovo. Studierte Film an der Universität Prishtina (BA- und MA-Abschluss) und macht dort gegenwärtig als Universitätsassistentin ihren Ph.D. Ihre Kurzfilme über die Ungleichbehandlung von Frauen* im Kosovo sind auf zahlreichen internationalen Filmfestivals (Kairo, Manhattan, Florida, Edinburgh…) gezeigt worden. 2019 erschien ihr erster Spielfilm Andromeda Galaxy, der beim San Sebastian Filmfestival den „Glocal in progress“-Award erhielt, 2019 war sie ebenfalls Teil der „Berlinale Talents“.

Quellen

Hepworth, Alexandra: “HOME: A Taxing Inheritance As Told By More Raça”. In: filminquiry.com, 15.08.2017, https://www.filminquiry.com/home-short-film-review/ [05.09.2020].

Prestridge, James: “Close-up: An Interview With Filmmaker More Raça”. In: closeupculture.com, 25.07.2019, https://closeupculture.com/2019/07/25/close-up-an-interview-with-filmmaker-more-raca/ [05.09.2020].